Direkt zum Inhalt springen
  • Drucken
  • Sitemap
  • Schriftgrösse

Warum in die Ferne schweifen?

Bildungssemester Gianni Fasoli, Lehrperson für Deutsch und Französisch

Sein Bildungssemester verbrachte Gianni Fasoli nicht in etwa in Griechenland oder auf Sardinien. Pandemiebedingt verabschiedete er sich von diesen Plänen und entdeckte wunderbare Fleckchen in der Schweiz.


5. Mai 2021, Gianni Fasoli, Lehrperson für Deutsch und Französisch


Das Bildungssemester von Gianni Fasoli verlief anders als geplant.

Nach über 20 Jahren Anstellung am BZWW war es auch für mich so weit: Ich durfte ein Bildungssemester beziehen. In den drei Bereichen „Persönlichkeitsentwicklung“, „Unterricht und Schule“ sowie „Schule und Umfeld“ würde ich mich also während eines Semesters ausserhalb des gewohnten Schulalltags weiterbilden.

Wie hatte ich mich darauf gefreut! Keine Lektionen vorbereiten, keine Prüfungen korrigieren, keine Sitzungen, möglichst wenige E-Mails lesen und beantworten. Doch dann kam Corona! Keine Kulturreise in Griechenland und kein Sprachaufenthalt auf Sardinien. Ich würde wohl am BZWW in die Annalen eingehen als diejenige Lehrperson, die während des Bildungssemesters die wenigsten Tage im Ausland verbracht haben wird. Mein Bildungssemester also ein Desaster? Mitnichten! Jedoch erforderte die Pandemie Flexibilität.

Museen statt Griechenland
Notgedrungen bewahrheitete sich das geflügelte Wort „Warum in die Ferne schweifen, wenn das Gute liegt so nah.“ Ich ersetzte die Griechenlandreise durch die Besuche von zehn verschiedenen Museen und Ausstellungen in den verschiedensten Regionen der Schweiz. Genannt seien nur drei: Die hervorragende William Turner-Ausstellung in der Fondation Beyeler in Riehen, das Centre Dürrenmatt in Neuenburg, das nicht nur das literarische Schaffen von Dürrenmatt präsentiert, sondern auch seine Bilder ausstellt, sowie das Anna Göldi Museum in Glarus, welches mittels Text- und Tondokumenten das Leben der Frau aufzeigt, die das Opfer der letzten legalen „Hexenhinrichtung“ in Europa gewesen war.

Die Kulturreise nach Weimar, ein Muss in der Karriere eines Deutschlehrers, liess ich mir trotz Corona nicht nehmen. Die Literaturepoche der Klassik begleitete mich auf Schritt und Tritt und die Stadt Weimar mit ihren offenen Plätzen, Dichterhäusern, Museen, Schlössern und grosszügigen Parklandschaften ist eine Augenweide, die mich in den Bann zog. Und – ich muss es gestehen – vor dem Lehnstuhl zu stehen, in dem Goethe, der wohl grösste deutsche Dichter, gestorben war, erzeugte schon etwas Herzklopfen.

Entschleunigung auf dem Schwabenweg
Zurück in der Schweiz pilgerte ich während einer Woche auf dem Schwabenweg (Teil des Jakobswegs) von Konstanz bis nach Einsiedeln. Im Verlaufe der sechs Etappen näherte ich mich zwar Santiago de Compostela geografisch nicht wesentlich, aber ich entdeckte die engere Heimat auf eine ganz neue Art und Weise. Und ich gebe es zu: Als waschechter Thurgauer noch nie auf dem Hörnli (Etappe 4, Fischingen – Steg) gewesen zu sein, war eine Schande.

„Wallfahren ist beten mit den Füssen“, habe ich irgendwo gelesen. Nebst dem spirituellen Aspekt hat das Pilgern auch einen hohen Entschleunigungswert. Dies nahm ich auf jeder Etappe beim Gehen, beim Reden mit Passanten und Begleitern und beim Besichtigen von Kapellen, Kirchen und anderen Kulturgütern wahr.

Als Praktikant im Kindergarten
Mitte August tauschte ich meine übliche Rolle als Lehrperson für Deutsch und Französisch mit einem Praktikanteneinsatz im Kindergarten Wis in Wattwil. Obwohl ein solcher für einen Mann eher unüblich ist, wurden meine anfänglichen Bedenken schnell verdrängt. Die insgesamt vier Wochen waren anstrengend, aber auch sehr bereichernd.

Die kunterbunte Mischung von verschiedensten Kulturen, die in einem Raum zusammenkommen, war für mich sehr spannend mitzuerleben. Die Unbeschwertheit und die kindliche Unbefangenheit der Kleinen waren ansteckend, andererseits bekam ich auch hautnah mit, wie unterschiedlich die Voraussetzungen bereits in diesem Alter sind. Die Herausforderungen an die Lehrpersonen sind gross: Viele Kinder sprechen und verstehen schlecht Deutsch. Die Aufgaben im erzieherischen Bereich erfordern oft so viel Zeit, dass es sehr schwierig ist, alle 23 Kinder so zu fördern, wie sie es verdienten.

Traum Traubenlese
Ende September erfüllte sich für mich ein kleiner Traum. In Metzingen, südlich von Stuttgart, durfte ich bei der Traubenlese mithelfen. Mitten in steilen Hängen oberhalb der Stadt befinden sich die Weinberge von insgesamt rund 100 Winzerinnen und Winzern. Der Rücken tat mir am Ende des Tages mehr als einmal weh, aber die strenge Arbeit in den Rebbergen mit Blick auf die Stadt Metzingen war eine wunderbare Erfahrung und ich freue mich schon auf nächstes Jahr, wenn ich meinen „eigenen Wein“ trinken werde. 

Italienisch-Intensivkurs in Zürich
Mein Intensivkurs in Italienisch fand schliesslich doch noch statt. Zwar nicht auf Sardinien, sondern in Zürich. Meine Sprachlehrerin war Neapolitanerin und so begeistert von der italienischen Kultur, dass ich öfters das Gefühl hatte, doch vor Ort zu sein. Und da man in Zürich im Oktober im Gegensatz zu Sardinien nicht mehr baden kann, hatte ich wohl mehr Zeit, die Grammatik und den Wortschatz zu lernen. 

"Bildung" beim SRK
Vor Weihnachten verbrachte ich noch fast einen Monat beim Schweizerischen Roten Kreuz Thurgau in Weinfelden. Ich erfuhr, wie der Fahrdienst funktioniert, der Notruf, der Besuchs- und Begleitdienst, die Kinderbetreuung zu Hause und durfte insbesondere in der Abteilung „Bildung“ Einblick nehmen. So besuchte ich beispielsweise Lektionen am Lehrgang für Pflegehelferinnen und nahm an einer Gewaltpräventionsschulung in einer Primarschulklasse teil.

Abschluss in der Buchhandlung
Mein Bildungssemester endete mit einem Praktikum in einer Buchhandlung. Ich durfte selbst erleben, wie vielfältig der Beruf einer Buchhändlerin/eines Buchhändlers ist und dass der Buchhandel in der heutigen Zeit ein hartes Geschäft ist. Zum Glück gibt es aber immer noch viele Kundinnen und Kunden, die eine persönliche Beratung einer Onlinebestellung vorziehen.

Zurück in den Schuldienst
Im Januar wurde mir meine baldige Rückkehr in den Schuldienst bewusst. Die Lust, Semesterpläne zu schreiben, hielt sich zwar noch in Grenzen, aber ich merkte doch, dass ich gerne zurückkehren würde.

Mit dem Verlauf meines Bildungssemesters bin ich trotz der Umstellungen wegen der Pandemie sehr zufrieden. Es erlaubte mir, nach über 20 Dienstjahren einmal etwas Abstand zu gewinnen, Weiterbildungen zu geniessen, die sonst auf diese Art und Weise nicht möglich gewesen wären und mit neuem Elan die restlichen Jahre meiner beruflichen Karriere anzugehen. Ein herzlicher Dank an den Kanton und die Schulleitung, die mir das Bildungssemester ermöglicht haben.

Als "PDF-Dokument" herunterladen

open positions